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19. Mai 2024

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Das Scheitern vor Augen

Das Scheitern vor AugenDPA/Arne Dedert

Die Währungsunion und damit die gemeinsame Wirtschaftspolitik der EU stehen vor der schwersten Prüfung ihrer Geschichte. Geht der Euro durch die Wirtschaftskrise in die Knie, ist guter Rat teuer.

Die gegenwärtige Wirtschaftskrise ist eine der größten Prüfungen für die Europäische Union (EU) seit den ersten Gründungsverträgen im Jahr 1951. Seither ist das Staatengebilde mit seiner komplexen Verwaltung auf 27 Staaten angewachsen, von denen sich 16 die gemeinsame Währung, den Euro, teilen. Die Zusammenballung von so vielen unterschiedlichen Staaten und das Projekt des gemeinsamen Wirtschaftsraumes hat in letzter Zeit aber auch die Schwächen der EU schonungslos freigelegt: Zwischen wirtschaftlich widerstandsfähigen Ländern beziehungsweise Regionen der EU wie Deutschland, Benelux, Frankreich, Skandinavien sowie auch (noch?) Österreich und „Problemländern“ wie Spanien, Griechenland, Italien, Irland und den drei baltischen Staaten hat sich im Zuge des weltwirtschaftlichen Niederganges eine erhebliche Kluft gebildet.
Diese neue „Kluft“, die sich hier zwischen den Staaten auftut, ist die bisher größte Prüfung für den Stabilitätspakt und die gemeinsame Währung. Am 24. Juni leitete die EU ein Defizit­verfahren gegen Litauen, Malta, Polen, Rumänien und Ungarn ein, auch Frankreich, Spanien, Irland und Großbritannien sind damit konfrontiert. Gegen Ende des Jahres dürften Verfahren gegen Deutschland und Österreich eingeleitet werden. Keines der Länder ist durch die Finanzkrise in der Lage, die Konvergenzkriterien einzu­halten.

Zentralbanken zittern
Zwar bezeichnete Finanzminister Josef Pröll (ÖVP) das Defizitverfahren als „durchaus erwartbar“, ein gutes Licht wirft es auf die österreichischen Staatsfinanzen aber nicht. Eine Staatspleite sei allerdings „ein absurdes Szenario“, so Pröll, er rechne höchstens mit einer Neuverschuldung von 3,5 Prozent.
Hoffen wir, dass der Finanzminister mit seinem Achselzucken recht behält. Die Zentralbanken der EU haben jedenfalls allen Grund zu zittern. Wenn es wie angekündigt noch weitere Verfahren gegen Slowenien und sogar Schweden geben sollte, dann sind mehr als zwei Drittel der EU-Staaten zurzeit nicht in der Lage, die essenziellen Grundbedingungen eines stabilen Währungskörpers innerhalb der Union einzuhalten. Und die Defizitverfahren können eine Spirale in Gang bringen: Länder wie Spanien, Griechenland oder Irland haben bereits eine Rating-Abstufung in Kauf nehmen müssen, was die Zinsen für ihre Staatsanleihen verteuert und die Schulden weiter steigen lässt.
Kollabieren mehrere Länder in Form eines Staatsbankrotts gar gleichzeitig, dann wird es sich zeigen, wie handlungsfähig die verbliebenen reichen Staaten sind. „Sollte Deutschland am Ende vor der Wahl stehen, zu helfen oder einem Bankrott zuzusehen, werden wir gemeinsam mit anderen tätig werden müssen“, ließ der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück vor Kurzem aufhorchen.
Doch was, wenn nicht? Das Horrorszenario, wenn die Partnerstaaten in der EU nicht mehr helfen (können) und auch der Währungsfonds nichts ausrichten kann: Dann zerfällt zuerst der Euroraum und in weiterer Folge die EU, wie wir sie kennen. Die europäischen Staaten würden wieder zu ihren nationalen Währungen zurückkehren, mit massiven Abwertungen in den Krisenländern und allem, was dazugehört: Lossagung aus der Union, explodierende Arbeitslosigkeit, Streiks, politischer Zerfall.
Für den früheren US-Notenbankchef Alan Greenspan war es seit jeher klar, dass der Euro scheitern müsse. Auch Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman gab der Kunstwährung keine zehn Jahre.
Diese Zeitspanne wäre nun durchschritten. „Die Frage ist, bis zu welchem Ausmaß die ost- und mitteleuropäischen Währungen dem Konjunktur­abschwung noch standhalten können“, sagt Analyst Stephen Bailey-Smith von der Londoner Standard Bank. Schaffen sie es nicht, ist guter Rat tatsächlich teuer.

Economy Ausgabe 75-08-2009, 21.08.2009