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26. April 2024

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Das Ende fundierter Kinderkrebsforschung

Das Ende fundierter KinderkrebsforschungSt. Anna Kinderspital

Ein offener Appell von Ruth Ladenstein, international renomierte Kinderkrebsforscherin am Wiener St. Anna Kinderspital in Vertretung anderer Experten, Juristen, Eltern und Überlebender nach Kinderkrebserkrankungen zur neuen Europäischen Datenschutzverordnung und ihre Auswirkungen auf die Kinderkrebsforschung.

Die Forschung an Biomaterialien von Kindern und Jugendlichen mit Krebserkrankungen ist notwendig, um Aufbau, Funktion und Signale der Krebszellen zu verstehen. Auf dieser Basis können nicht nur Risikofaktoren für das Überleben erkannt, sondern auch neue Medikamente entwickelt werden, welche wiederum bei kindlichen Krebserkrankungen verbesserte Behandlungs- und Heilungschancen ergeben.
Aus Sicht der Experten ermöglicht nur ein Generationenvertrag Erkenntnis und Fortschritt. Aktuell profitieren Patienten von der Gewebespende und den persönlichen Daten früherer Patienten. Damit sichert die Spende der Patienten von heute verbesserte Bedingungen in der Krebstherapie für künftige Patienten. Sinnvolle Dateninformation und Datenverknüpfungen im Bereich der Kinderkrebsforschung sind nur mit identifizierbaren, wenn auch verschlüsselten (pseudonymisierten) Datensätzen möglich.
Einmalig verknüpfte Datensätze ohne Rückverfolgbarkeit (anonymisierte Datensätze), werden im letzten Entwurf der Datenschutzverordnung für den Forschungszweck zwar optional angeboten, machen aber keinen Sinn, wenn die langfristige Nachbeobachtung und der Zusammenhang zu Therapieverläufen essentiell sind. Für den Schutz persönlicher Daten in Forschungsnetzwerken sorgen „State of the Art” Technologien, während über den Forschungszweck unabhängige Ethikkommissionen entscheiden.

Die Tatsachen
Obwohl die Reform der Europäischen Datenschutzverordnung generell begrüßenswert ist, schränkt die aktuelle Fassung (Artikel 4, 81 und 83) sowohl die Biomedizinische Forschung als auch die Epidemiologische Forschung massiv ein.
Der vorliegende Entwurf der Datenschutzverordnung untersagt die Verwendung von Daten außerhalb des genau formulierten Verwendungszwecks in der Einwilligungserklärung. Für jedes einzelne Forschungsvorhaben wird eine neuerliche und spezifische Einwilligungserklärung gefordert.
Nur auf dieser Basis könnten vorliegende Datensätze und Biomaterialien einem weiteren Nutzen zugeführt werden. Zudem untersagt die Verordnung die Verwendung von persönlichen Daten selbst in pseudonymisierter (verschlüsselter) Form ohne spezielle Einwilligungserklärung. Die Zusammenführung großer Datensätze aus unterschiedlichen Forschungsumgebungen wäre damit praktisch nicht mehr möglich.

Belastungen für Forscher und Patienten
Die Nachverfolgung ehemaliger Patienten zur Einwilligung in neue Forschungsprojekte, oftmals viele Jahre nach Ersterkrankung, ist ein zeitaufwendiger und kostenintensiver Prozess. Die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme sind bei Namens- und Ortswechsel ehemaliger Patienten sehr eingeschränkt. Daraus ergibt sich, dass künftig zu geringe Datenmengen und Biomaterialien für die Forschung zur Verfügung stehen.
Auch ehemalige Patienten und deren Familien sind belastet. Die neuerliche Einwilligungserklärung für jedes neue Forschungsvorhaben erinnert immer wieder an die ehemalige Krebserkrankung zu einem Zeitpunkt, wo viele sich ein normales Leben wünschen ohne ständige Erinnerung an die vergangene Krankheitsphase. Aus diesem Grund ist ein wiederholter Einwilligungsprozess unerwünscht!

Angestrebte Lösungen
Eine einmalige, nicht einschränkende Einwilligungserklärung für die Kinderkrebsforschung zu Beginn der Krebserkrankung durch Eltern und betroffene Kinder und Jugendliche. Lediglich eine einzige Wiederholung im Alter von 18 Jahren als Zeichen der Verantwortungsübernahme über ihr Leben wird von Jugendlichen gewünscht. Die Forscher begrüßen dieses Vorgehen und sehen in dieser zweiten Einwilligung das Recht junger Menschen auf Eigenverantwortung.
Verknüpfung verschlüsselter Datensätze im medizinischen Forschungsbereich, ggbfs. auch ohne spezielle Einwilligung, ermöglicht Ergebnisse aus Tumorbanken mit Überlebensdaten in Bezug zu setzten. Dieser Prozess ist bei kompletter Anonymisierung von Biodaten nicht mehr möglich, und damit könnten Langzeitauswirkungen nicht mehr studiert werden. Unabhängige Ethikkommissionen und Patientenvertreter sollen Mitsprache bei solch neuen Forschungsprojekten haben.

Schwierige Argumentation
Bei hohem öffentlichem Interesse an einer Forschungsfrage darf sie auch jetzt schon ohne Einwilligungserklärung durchführt werden, ist derzeit aber auf anonymisierte Daten beschränkt. Das öffentliche Interesse im Bereich seltener Erkrankungen ist allerdings schwer argumentierbar. Es fehlen eindeutige Regelungen für den biomedizinischen Forschungsbereich, vor allem für seltene Erkrankungen.
Die Chance die Harmonisierung in Europa mit der künftigen Datenschutzverordnung zu regeln soll gewahrt werden. Das ist essentiell für die künftige länderübergreifende Forschung in Europa. Unterschiedliche Interpretationen auf Mitgliedsstaatenebene würden solche Forschungsvorhaben entscheidend behindern.

Ruth Ladenstein

Anmerkung der Redaktion: Anlässlich des Internationalen Kinderkrebstages am 15. Februar diskutierten auf Einladung der Europäischen Parlamentarierin Glenis Willmott im Europäischen Parlament die Europäische Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie (SIOPE) gemeinsam mit Juristen, Eltern und Überlebenden nach Kinderkrebserkrankung die neue Europäische Datenschutzverordnung und verliehen ihrer Sorge um die Konsequenzen für künftigen Forschungsmöglichkeiten Ausdruck.

Ruth Ladenstein konnte gemeinsam mit SIOPE hochrangige Europäische Parlamentarier wie Jan Philipp Albrecht (DE) und Nessa Childers (IE) sowie Vertreter der Europäischen Kommission wie Tapani Piha (EU) vom Directorate-General for Health and Food Safety und Baiba Jugane-Lintere (LV), derzeitige EU Council Präsidentin, für eine Podiumsdiskussion zu dieser Thematik mit dem Beauftragten zur Europäischen Datenschutzverordnung, Jan Phillip Albrecht, gewinnen.

Ruth Ladenstein ist Professorin für Pädiatrische Onkologie und Leiterin der klinischen Studien- und Forschungseinheit S2IRP (Studies & Statistics for Integrated Research and Projects) am Kinderkrebs-Forschungsinstitut im St. Anna Kinderspital in Wien.

Die international renomierte Expertin ist zudem in zahlreichen internationalen Gremien engagiert, etwa im European Network for Cancer Research in Children an Adolescence (ENCCA), sie ist Board-Member bei der Europäische Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie (SIOPE; wo Ladenstein von 2009 bis 2012 auch Präsidentin war), weiters Advisory Board Member der Europäischen Neuroplastoma Gruppe von SIOPE und Mitglied des Onkolologischen Rates für das BM für Gesundheit in Österreich.

PS der Redaktion: Das St. Anna Kinderspital forscht mit Ihrer Unterstützung zum Wohle krebskranker Kinder und dankt für Ihre steuerlich absetzbare Spende an:
Bank Austria IBAN: AT79 1200 0006 5616 6600 BIC: BKAUATWW

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red/cc, Economy Ausgabe 999999, 20.02.2015