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27. April 2024

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Wer ist klug und wer nicht und wer wird krank

Wer ist klug und wer nicht und wer wird krank© MedUni Innsbruck_Fred Einkemmer

Spezielles Protein in Großhirnrinde und Hippocampus entscheidet über Intelligenz und neurologische Erkrankungen. Forscher der Med Uni Innsbruck erkundeten nun erstmals genaue Eigenschaften und Folgewirkungen.

(red/czaak) Die kognitive Leistung eines Menschen spielt sich in Großhirnrinde und Hippocampus ab. Spezielle Nervenzellen in diesen Hirnregionen enthalten das Protein SATB2. Fehlt es, verändert sich der Aufbau der 3D-Struktur der Erbinformation und damit die Denkfähigkeit. ForscherInnen des Instituts für Neurowissenschaften an der Med Uni Innsbruck ist es nun gelungen, die 3D-Struktur der DNA mit und ohne SATB2 darzustellen und damit eine neue Erklärung für genetisches Risiko für psychiatrische Erkrankungen anzubieten.

Demenz oder Schizophrenie beeinträchtigt kognitive Prozesse des Gehirns
Bei vielen neuropsychiatrischen Erkrankungen, wie etwa Demenz oder auch Schizophrenie, sind die kognitiven Prozesse und damit die Lern- und Gedächtnisleistung des Gehirns beeinträchtigt. Das Team des Instituts für Neurowissenschaften forscht seit vielen Jahren zur Rolle dieses Proteins und nun ist in Zusammenarbeit mit irischen und New Yorker Kollegen der Nachweis gelungen, dass das Vorhandensein von SATB2 im Zellkern bestimmter Neuronen der Großhirnrinde den spezifischen 3D-Aufbau der DNA dieser Nervenzellen grundlegend beeinflusst und organisiert. Fehlt das Protein, gerät die für kognitive Leistungen notwendige Ordnung in der Erbsubstanz durcheinander.

Die aufgerollte DNA in jeder einzelnen Zelle ist zwei Meter lang, der Zellkern aber nur bis zu 20 Mikrometer im Durchmesser. Um in den Zellkern zu passen, muss daher die Erbinformation in eine komplexe Struktur gefaltet werden. Die genaue Anordnung der DNA ist für jeden Zelltyp verschieden, sodass jedes für die Funktion der Zelle wichtige Gen genau positioniert ist und angeschaltet werden kann, wann immer es von der Zelle gebraucht wird. „SATB2 bindet an die DNA und hat somit direkten Einfluss auf die Genaktivität“, erklärt Nico Wahl vom Forschungsteam.

Sogenannter Genome Organizer dirigiert spezifischen 3D-Aufbau der DNA-Struktur
In einer langjährigen Arbeit konnten die Wissenschafter zeigen, dass das SATB2-Protein als sogenannter Genome Organizer den spezifischen 3D-Aufbau der DNA-Struktur dirigiert und direkten Einfluss auf die Aktivität von Hunderten für die Intelligenz verantwortlicher Gene hat. „Diese für die Kognition relevanten Gene sind über das gesamte Genom verteilt, müssen beim Denken aber häufig gemeinsam abgelesen und gemeinsam reguliert werden“, erklärt Georg Dechant, Direktor des Instituts für Neurowissenschaften an der Med Uni Innsbruck.

In einem extrem aufwändigen Projekt konnte das Forscher-Team zeigen, dass die 3D-Anordnung der für die Intelligenz wichtigen Gene verändert wird, wenn das SATB2-Gen entfernt wird. „Dieses Gen ist kognitiv von enormer Bedeutung. Bei einer Mutation sinkt der Intelligenzquotient auf weniger als 40“, betont Galina Apostolova, ebenso Mitglied im Team. Den ForscherInnen ist insbesondere der Nachweis gelungen, dass SATB2 die 3D-Struktur von DNA-Risiko-Loci verändert, also jener Genregionen, deren Sequenz mit dem Risiko für neuropsychiatrischen Erkrankungen in Verbindung gebracht wird.

Ein überraschender Effekt nach Übertragung Tiermodell auf humanes Modell
„Es war eine Überraschung, dass SATB2 spezifisch diese Risiko-Loci beeinflusst. Wir vermuten daher, dass neuropsychiatrische Erkrankungen durch die ungeeignete 3D-Struktur der DNA verstärkt oder verursacht werden“, interpretiert Dechant das Ergebnis. Für den Institutsdirektor ist die Publikation ein weiterer Beitrag zu einem Perspektivenwechsel, der sich derzeit in der psychiatrischen Wirkstoffforschung vollziehe. Dabei rücke der Zellkern als Angriffspunkt für medikamentöse Therapien zunehmend in den Fokus. „Ich bin überzeugt, dass wir künftig nicht mehr nur auf Neurotransmitter und Synapsen schauen werden“, so Dechant.

Für die Untersuchungen in der aktuellen Publikation haben die Wissenschafter enorme Datensätze (Anm. vier Terabyte Rohdaten aus Next Generation Sequencing) aus einem Tiermodell gewonnen, ausgewertet und auf ein humanes Modell übertragen. „SATB2 von Mensch und Maus ist nahezu ident und unterscheidet sich lediglich in drei Aminosäuren. Da sich Nervenzellen nicht replizieren lassen, ist es bisher fast unmöglich, mit lebenden humanen Nervenzellen zu forschen“, skizziert Nico Wahl die Problematik. Während eines Forschungsaufenthalts an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York hat er sich die erforderlichen molekularbiologischen Methoden der funktionellen Genomik, insbesondere das in situ Hi-C, angeeignet und diese dann in Innsbruck etabliert.

Die aufwändigen bioinformatischen Analysen der Datensätze konnten die ForscherInnen dank der Teilnahme der Medizinischen Universität Innsbruck an der Großrechenanlage des Vienna Scientific Cluster durchführen. Das Projekt wurde vom Forschungsförderungsfonds FWF unterstützt.

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red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 08.02.2024