Unabhängiges Magazin für Wirtschaft und Bildung

29. März 2024

Search form

Search form

Starke psychische Belastung bei Kindern durch Corona-Pandemie

Starke psychische Belastung bei Kindern durch Corona-Pandemie© Pexels.com/Rednoe Productions 6003463

Angstzustände, Stress und Traumasymptome junger Menschen im Fokus einer Studie der Uniklinik Innsbruck. Aktuelle Ergebnisse der zweiten Befragung zeigen alarmierende Entwicklung. Aufruf für Teilnahme an dritter Runde in Tirol.

(red/czaak) Das psychische Wohlergehen von Kindern im Alter von 3 bis 12 Jahren ist das Thema einer umfangreichen Studie der Innsbrucker Univ.-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter. Ziel des auf zwei Jahre angelegten Forschungsprojekts ist die langfristige Erfassung von Angstzuständen, Stressbelastungen und Traumasymptomen sowie die generelle Lebensqualität der 3 bis 12-jährigen Kinder in Tirol. Die nunmehr vorliegenden Werte der zweiten Befragungsrunde zeigen eine zunehmend massive Belastung der Kinder und „alarmierende Ergebnisse“, so die leitenden Ärztinnen der renommierten Tiroler Uniklinik.

703 Familien und 224 Kinder nehmen an Befragung teil
Bei der von Dezember bis Ende Jänner 2021 gelaufenen zweiten Befragungsrunde haben 703 Familien aus Nord- und Südtirol teilgenommen, um 280 mehr als beim Startdurchgang. Zusätzlich wurden 224 Kinder befragt. Ein Großteil der Teilnehmer der ersten Fragerunde waren auch diesmal dabei. „Dank der sehr regen Beteiligung können wir die beiden Erhebungszeitpunkte März 2020 und Jänner 2021 gut miteinander vergleichen. Die Ergebnisse sind durchaus alarmierend“, erklärt Kathrin Sevecke, Primaria der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Landeskrankenhaus (LKH) Hall und Leiterin der Studie.

Das aktuelle Bild deckt sich auch mit den Erfahrungen der Sprechstunde für stark belastete Kinder und deren Eltern an der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hall in Tirol. „Wir sehen, dass die Anzahl der Kinder, die sich stark belastet fühlen, steigt“, sagt Sevecke. Die ersten Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie führten zur Weiterentwicklung von Unterstützungsmaßnahmen wie etwa niederschwellige Telefonhotlines und Spezialsprechstunden für betroffene Kinder und Jugendliche sowie Angehörige (economy berichtete). Das Land Tirol fördert hier sowohl die Maßnahmen wie auch Forschungsprojekte mit Studien an den Kliniken.

Kinder zeigen deutlich mehr Angstzustände und Traumasymptome
Die Auswertung der ersten Untersuchung mit Familien aus seinerzeit stark belasteten Regionen wie Paznaun- oder Grödnertal (Anm. nach der ersten Quarantäne) zeigten damals in Bezug auf Traumatisierung und Angstempfinden noch keine signifikanten Auffälligkeiten. „Das hat sich diesmal deutlich geändert“, erklärt Gesundheitspsychologin Silvia Exenberger vom Studienteam.

Die Traumasymptome sind um rund 60 Prozent (!) gestiegen, so die Auswertungen nach Selbstauskunft der Kinder. „Mittlerweile zeigen bereits rund 15 Prozent der Kinder klinisch relevante Symptome, vor einem Jahr waren es drei Prozent“, betont Exenberger. Ebenfalls gestiegen sind Angstzustände und 45 Prozent der jungen Menschen zeigen Aufmerksamkeitsprobleme. „Aus Sicht der Eltern haben sich somatische Beschwerden wie etwa Bauchweh oder Schlafstörungen der Kinder mehr als verdoppelt“, ergänzt Exenberger.

Lebensqualität und Warnung vor erneuter Schließung von Schulen und Kindergärten
Im März 2020 hatten Kinder vor allem unter fehlenden sozialen Kontakten gelitten. Aktuell hat sich aus Sicht der Eltern das Verhältnis von Mädchen und Jungen zu Freunden wieder gebessert. Trotz gestiegener Belastungssymptome zeigen die Daten die gleiche Beurteilung der Lebensqualität im Jänner 2021 versus der Quarantänephase im März 2020. „Dazu haben die Öffnungen von Kindergärten und die leichten Lockerungen der Kontaktmöglichkeiten beigetragen“, erläutert Exenberger.

Aus diesem Grund warnt die Expertin nachdrücklich vor einer erneuten Schließung von Schulen und Kindergärten. Eine gesonderte Betrachtung betrifft auch die Unterschiede der Geschlechter. Im März 2020 hatten Mädchen ein intensiveres Bedrohungserleben geschildert und damit verbunden auch mehr Trauma- und Angstsymptome. „Dies ist so geblieben, aber die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass sich bei Mädchen und Jungen das Rückzugsverhalten verstärkt hat. Und bei Jungen ist die Verhaltensschwierigkeit wesentlich ausgeprägter“, attestiert Exenberger.

Aufruf an Lehrer, Kindergartenpädagogen und Führungskräfte
Nachdem letzten Sommer und Herbst Kinder und Eltern befragt wurden, geht es in der nächsten Stufe des Forschungsprojektes um die Sichtweise von PädagogInnen und Führungskräfte in Bezug auf die Corona bedingten Belastungen der Kinder und deren Auswirkungen auf Schule und Kindergarten. Finale Zielsetzung ist die Entwicklung eines Instruments zur Früherkennung kindlicher Belastungssymptome (Screening) sowie eines psychologischen Leitfadens zur besseren Bewältigung von Krisen in Schule und Kindergarten.

„Wir führen dazu Online-Fokusgruppen mit jeweils rund fünf Teilnehmerinnen durch“, sagt Kathrin Sevecke, Primaria am LKH Hall und Leiterin der Studie. Sevecke und Team rufen zur Teilnahme an so einer virtuellen Fokusgruppe auf, Dauer 1,5 Stunden. „Die TeilnehmerInnen leisten einen Beitrag zur besseren Bewältigung der aktuellen und möglicher zukünftiger Krisen. Zudem ist ein ungezwungener Austausch über Erfahrungswerte in einem geschützten Rahmen möglich“, so Sevecke. Infos und Termine siehe nachfolgende eMail-Adresse und Link.

Links

red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 26.03.2021