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24. April 2024

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Netlog ist das Facebook der Teenies

Netlog ist das Facebook der TeeniesAndy Urban

88 Prozent der 14-Jährigen sind in einem sozialen Netzwerk im Internet registriert. Das zeigt eine Studie über die Internet-Nutzung der Jugendlichen. Die neuen Netzwerke könnten zu einer lebendigeren, partizipativen Demokratie führen. Das Potenzial der Netzwerke haben die Besetzer und Besetzerinnen von Hörsälen an den Unis gezeigt.

Das Facebook der Teenager heißt Netlog. Dieses Internet-Portal ist das derzeit beliebteste soziale Netzwerk von 14-Jährigen in Österreich. Noch nie gehört? Das ist nicht verwunderlich. Selbst viele Eltern von 14-Jährigen werden Netlog nicht kennen. Denn sie wissen generell wenig Bescheid darüber, wo sich ihr Nachwuchs im Netz herumtreibt. Nur 34 Prozent der Eltern setzen den Computer-Aktivitäten ihrer Sprösslinge zeitliche Grenzen. Das sind die ersten Ergebnisse einer noch nicht veröffentlichten Studie über die Internet-Medienkompetenz von 14-Jährigen. Für die Studie befragten das Demokratiezentrum Wien, die Donau-Universität Krems und das Informations- und Technologiezentrum (ICT&S Center) der Universität Salzburg knapp 400 14-jährige Schüler und Schülerinnen in Wien, Niederösterreich und Salzburg.

economy: Welche vorläufigen Ergebnissen hat Ihre Studie?

Peter Parycek: Soziale Netze im Internet sind sprunghaft angestiegen. 88 Prozent der von uns befragten 14-Jährigen sind in einem sozialen Netzwerk registriert und halten sich zumindest fallweise dort auf. Überraschenderweise dominiert nicht Facebook, sondern Netlog, ein speziell auf Jugendliche ausgerichtetes Portal.
Gertraud Diendorfer: Das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit verändert sich bei den Jugendlichen. Was man früher ins Tagebuch geschrieben hat, wird nun online gestellt und von vielen konsumiert. Bei der Weitergabe von Telefonnummern sind sie zwar vorsichtig. Doch die Digital Natives stellen sich im Internet viel freier und leichter dar als die ältere Generation.
Peter Parycek: Der Business-Autor Don Tapscott hat seine Tochter gefragt, warum sie bestimmte Fotos auf Facebook stellte – sie würde so nie einen Job kriegen. Sie sagte darauf: „Papa, du kennst dich nicht aus.“ Er war empört. Natürlich kenne er sich aus, er kenne die Unternehmen, schließlich arbeite er im Silicon Valley. Sie daraufhin wieder: „Papa, du kennst dich nicht aus. Bei einem Unternehmen, das mich nach solchen Kriterien beurteilt, will ich gar nicht arbeiten.“

Ein 15-jähriger Praktikant bei Morgan Stanley in London hat einen Bericht über die Mediennutzung seiner Freunde geschrieben und damit riesiges Aufsehen erregt. Kurz gefasst: Jugendliche erwarten, alles gratis zu bekommen – Musik über Downloads, Gratiszeitungen etcetera. Welche Medien konsumieren die 14-Jährigen in Österreich?
Gertraud Diendorfer: You­tube, Netlog und Google sind die Websites, die am häufigsten angesurft werden. Bei der Frage, welche Websites sie im Bereich Politik, Staat und Behörden kennen, nannten die Jugendlichen die Websites der klassischen Medien, zum Beispiel die Kronen Zeitung oder die Seiten des ORF. Aber auch Help.gv.at und natürlich Wikipedia. Wir haben die Jugendlichen nach den Themen gefragt, die sie interessieren. Am meisten interessieren sie sich für die Rechte von jungen Menschen und alle Themen, wo sie das Gefühl haben, das sei nahe bei ihnen. Hardcore-Politik interessiert sie nicht so.

Haben Sie nach Sexualität gefragt?
Gertraud Diendorfer: Nein, das haben wir nicht. Wir haben gefragt, ob es zu Hause Regeln dafür gibt, wie sie das Internet benutzen dürfen. Nur bei 34 Prozent der 14-Jährigen gibt es Regeln. Besonders bei Burschen, bei Mädchen weniger. Der Großteil der Jugendlichen hat keine Regeln.

Betrifft das auch Computerspiele?

Peter Parycek: Alles. Was sie spielen, wie oft sie spielen, wie lange sie spielen. Dabei gibt es einen Unterschied zwischen Burschen und Mädchen: Burschen spielen viel häufiger.

Computerspiele sind doch sowieso oft reine Zeitverschwendung. Da kann es für Mädchen wohl kein Nachteil sein, wenn sie weniger Zeit damit verbringen.
Peter Parycek: Das kommt darauf an. Wer bei Online-Spielen wie „World of Warcraft“ Leader einer Gilde wird, hat ein hohes Führungspotenzial entwickelt. In der Online-Simulation „Sim City“ geht es darum, eine Stadt zu verwalten. Das ist anspruchsvoll. Spiele haben nur auf den ersten Blick keinen unmittelbaren Mehrwert. Das Problem ist natürlich, dass Spiele zur Sucht werden können.

Gibt es weitere Unterschiede beim Internetverhalten von Burschen und Mädchen?
Gertraud Diendorfer: Wir haben gefragt, wann sie zum ersten Mal das Internet verwendet haben. Das war im Schnitt mit acht Jahren. Doch Burschen waren ein Jahr früher dran als Mädchen. Spätere Gymnasiasten waren ein Jahr früher dran als spätere Hauptschüler. Burschen schätzen sich als Technikfreaks ein und sind generell technikaffiner als Mädchen. Sie bringen sich mehr selber bei, laden sich mehr Programme herunter. Das ist ein klarer Hinweis auf Handlungsbedarf, um Mädchen zu unterstützen.

Das Demokratiezentrum leitet Projekte wie Polipedia.at, um Demokratie an Schulen zu stärken. Nun leben die protestierenden Studierenden vor, wie partizipative Demokratie funktioniert. Waren Sie schon im Audimax an der Uni Wien?
Peter Parycek: Nein. Ich verfolge es live über den Webstream und über Blogs und Tweets. Was da passiert, wird die Netzwerke der althergebrachten Organisationen infrage stellen. Solche Proteste hat bisher immer die ÖH organisiert. Eine Organisation, die hierarchisch aufgebaut ist, mit klaren Rollen und Konzepten. Hätte die ÖH die jetzige Aktion begonnen, wäre spätestens nach dem vierten Tag ein Anruf von Rot und Schwarz eingegangen: „Schön, dass ihr demonstriert habt, aber jetzt ist Ruhe. Ihr wollt ja später noch Karriere machen.“ Momentan weiß man gar nicht, wer der Kopf der Bewegung ist.
Gertraud Diendorfer: Dieses basisdemokratische Vorgehen wird intensiv diskutiert. Braucht die Bewegung gewählte Sprecher, damit in der Unipolitik etwas weitergeht? Das wird im Moment eher verweigert. Wie kann man etwas umsetzen, wie kann man die Bewegung zum Erfolg bringen, wenn man keine Sprecher nominiert? Wie lange kann man durchhalten? Über die Frage, welche Rolle die Neuen Medien bei der Audimax-Besetzung und der Kontrabewegung spielen, wie kommuniziert wird, toben ja wilde Schlachten in den Online-Foren.
Peter Parycek: Was wir zurzeit erleben, wird unsere Gesellschaft nachhaltig verändern. Traditionelle Organisationen werden ihre Rolle neu definieren müssen und teilweise verschwinden. Die Gesellschaft kann sich durch die Kraft der Netzwerke selbst organisieren.

Wie kann sich die Gesellschaft selbst organisieren?
Peter Parycek: Die Frage ist eher: Was kann eine Gesellschaft noch alles erreichen, wenn sie es bereits geschafft hat, gemeinsam eine Enzyklopädie zu schreiben? Linux und Wikipedia sind Phänomene, die die Gesellschaft selbst erschaffen hat. Sie sind eine gemeine Konkurrenz für Microsoft und kommerzielle Enzyklopädien, weil sie auf einem anderen Business-Modell basieren. Die Gift Economy, die Geschenkökonomie, ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Die Leute programmieren Open-Source-Software, schreiben Blogs und erstellen Wikipedia-Artikel. Aus Spaß. Sie schaffen Content, meistens als zweiten Job, für den sie nichts bezahlt bekommen. Mit dem ersten Job decken sie ihre Grundbedürfnisse ab. Wenn es in diesem Bereich funktioniert, warum sollte es nicht auch im politischen Bereich funktionieren? Die Studentenproteste sind vielleicht ein Vorbote einer neuen, aktiver gelebten Demokratie. Die Gesellschaft kann sich schnell selbst organisieren und braucht die traditionellen Organisationen nicht mehr.

Das setzt aber voraus, dass man einen gut bezahlten ersten Job hat, damit man sich das unbezahlte Wikipedia-Schreiben leisten kann. Die neuen technischen Möglichkeiten machen das Organisieren sicher schneller – doch verändert sich deshalb die Form des Protests? Die Hainburg-Besetzer vor 25 Jahren haben sich auch schnell organisiert, mit Telefonketten und Flugblättern.
Gertraud Diendorfer: Auch früher hat man Druck von unten gebraucht, um Interessen zu formulieren. Die wurden dann durch Interessenvertretungen und politische Gruppierungen weitergetragen. Heute kann man über Kanäle kommunizieren, die flacher hierarchisiert sind. Wie weit der Protest auch ein Protest gegen die studentische Vertretung ist, muss sich erst noch herausstellen. Jetzt ist es ein Protest gegen bestimmte Zustände an den Universitäten und für eine höhere Dotierung. Spannend ist jetzt, wie weit es basisdemokratisch gelingt, aufbauend auf den neuen Informationskanälen neue Formen der Vertretung zu finden. Man könnte das Potenzial, das die Neuen Medien immer versprochen haben, aber nie in die Realität umgesetzt haben, nun realisieren.
Peter Parycek: Es gibt die schöne These von Clay Shirky, einem amerikanischen Medienprofessor und Autor, dass kulturtechnische Revolutionen erst dann greifen, wenn die Technologie ihren ersten Glanz verloren hat. Wenn jeder und jede sie zur Verfügung hat. Als die Buchdruckmaschine erfunden wurde, ist nicht sofort eine Revolution ausgebrochen. Das geschah erst, nachdem die breite Bevölkerung gelernt hatte zu lesen und das durch Bücher vermittelte Wissen verwerten konnte. Ein ähnliches Phänomen erleben wir jetzt, 40 Jahre nach der Geburt des Internets.

Wie können Schülerinnen und Schüler partizipative Demokratie lernen?
Gertraud Diendorfer: Schuldemokratie ist formalrechtlich vorhanden, es gibt sie schon lange. Doch die gelebte Praxis ist ausbaufähig. Je mehr Möglichkeiten es für Schüler und Schülerinnen gibt, Schülerparlamente selber zu organisieren, je mehr Mitsprachemöglichkeiten sie erhalten, desto stärker die Partizipation. Die Gesellschaft muss genügend Angebote für politische Partizipation schaffen und die Jugendlichen ernst nehmen.

Was 14-Jährige interessiert

Welche Internet-Medien konsumieren 14-Jährige? Welche Websites öffentlicher Institutionen nutzen sie? Solche Fragen will eine Untersuchung der Medienkompetenz von 14-jährigen Schülern und Schülerinnen klären. An der noch nicht abgeschlossenen Studie arbeiten das Demokratiezentrum Wien, die Donau-Universität Krems und das Informations- und Technologiezentrum (ICT & S Center) der Universität Salzburg. Befragt und getestet wurden 379 14-Jährige an Gymnasien und Hauptschulen in Wien, Niederösterreich und Salzburg.
Auf die Frage, welche Websites sie häufig nutzen, sollten die Jugendlichen drei Nennungen abgeben. Spitzenreiter ist Youtube mit 195 Nennungen. An zweiter Stelle steht das europäische Internetportal Netlog mit 142 Nennungen. Netlog bietet ein soziales Netzwerk wie Facebook, richtet sich aber speziell an Jugendliche ab einem Alter von circa 13 Jahren. Vom Facebook-Fieber, das in den letzten ein, zwei Jahren vor allem die jungen Erwachsenen befallen hat, sind die 14-Jährigen laut Studie noch nicht voll angesteckt. Es gibt allerdings Unterschiede zwischen Burschen und Mädchen. Typische Mädchen-Sites sind Facebook, MSN, Uboot, Myspace und Yahoo.

Über Rechte informieren
Auch das Interesse der Jugendlichen für politische und gesellschaftspolitische Fragen wurde erkundet. Am meisten – zu 82 Prozent – interessiert die 14-Jährigen, welche Rechte junge Menschen haben. Für Gesundheitsthemen interessieren sich 69 Prozent, für Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten 65 Prozent. Hardcore-Politikinformationen über Parlament, Verfassung und Gesetze oder über die aktuellen politischen Ereignisse in Österreich finden die Jugendlichen (und nicht nur sie) dagegen bloß mäßig spannend.
Tendenziell bekunden die Mädchen etwas weniger Interesse an politischen Themen als die Burschen. So sagen 34 Prozent der Mädchen und 48 Prozent der Burschen, sie seien an der EU und Europa interessiert. 25 Prozent der Mädchen und 46 Prozent der Burschen sind am Thema Zivilcourage interessiert. Lediglich bei der Chancengleichheit von Männern und Frauen verändert sich das Verhältnis. 56 Prozent der Mädchen und 44 Prozent der Burschen finden das interessant.
Mit acht Jahren beginnen die Kinder, das Internet häufig zu nutzen. Spätere Gymnasiasten sind früher dran als spätere Hauptschüler, was wohl auch ökonomische Gründe haben könnte. Doch mit 14 haben fast alle Zugang zu einem Computer. Rund 70 Prozent bringen sich alles selber bei, die anderen erhalten Hilfe von Freunden, Lehrern und Eltern. Nur 34 Prozent der 14-Jährigen erhalten von ihren Eltern Regeln über ihre Internet-Nutzung.

Links

Economy Ausgabe 78-11-2009, 20.11.2009