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29. März 2024

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Wenn Fliegen Hunger haben

Wenn Fliegen Hunger haben© Pexels.com/Egor Kamelev

Die Med-Uni Innsbruck hat die Rolle eins speziellen Proteins bei der Nahrungsaufnahme von Fruchtfliegen untersucht und dabei interessante Auswirkungen auf Hunger und Sättigungsgefühl gefunden. Ähnlichkeiten beim Menschen sind möglich.

Die Forschung mit der Fruchtfliege
(red/mich/cc) Drosophila wird seit mehr als hundert Jahren als Modellorganismus für die Genetik herangezogen. 75 Prozent der Gene von Drosophila sind auch im Menschen vorhanden. Deshalb gibt es Fliegenmodelle u.a. für Fragestellungen der Krebsforschung, Entwicklungsbiologie und Neurowissenschaften. Sie ist einfach genetisch zu manipulieren und es gibt unzählige Möglichkeiten sie molekularbiologisch zu untersuchen.

Das im jetzigen Projekt der Med-Uni Innsbruck gesondert untersuchte Chromatin-Protein CHD1 kommt in allen Organismen vor, von der Hefe bis zum Menschen. Im Gehirn sorgt es dafür, dass während des sogenannten Transkriptionsprozesses die Chromatin-Verpackung der DNA stabil bleibt. Fehlt es, wird die Aktivität von Genen, die Hunger und Sättigungsgefühl steuern, nicht mehr korrekt reguliert und das führt zu verringerter Nahrungsaufnahme und verkürzter Lebensdauer.

Stark verkürzte Lebenszeit
Fruchtfliegen fühlen sich immer satt, wenn in ihrem Gehirn das Protein CHD1 fehlt. Sie hören auf zu fressen und ihr Metabolismus weist starke Störungen auf. Darüber hinaus erhöhen sich kritische Entzündungsmarker und sie sterben bald. „Ihre Lebenszeit von durchschnittlich 80 Tagen verkürzt sich auf ein Drittel“, erläutert Alexandra Lusser vom Institut für Molekularbiologie der Medizinischen Universität Innsbruck.

Im Zuge weiterer Forschung soll nun auch der Frage nachgegangen werden, ob diese CHD1-Expression im normalen Alterungsprozess abnimmt, die Chromatinstruktur dadurch schlechter und entsprechend das gesunde Altern beeinflusst wird. „Werden Gene im Zuge der Transkription abgelesen, kann es zum Verlust von Histonen kommen und diese müssen ersetzt werden. Sonst kommt es zu Schäden in der DNA oder zur unerwünschten Aktivierung von Abschnitten des Genoms“, so Lusser. 

Gehirnzellen teilen sich praktisch nicht mehr
Dies geschieht einerseits während der nächsten Zellteilung und andererseits direkt während der Transkription durch den Einbau sogenannter Histonvarianten.   Da sich Gehirnzellen im Laufe des Lebens praktisch nicht mehr teilen, ist der Austausch ausschließlich auf den Transkriptionsprozess beschränkt. So kommt es, dass im menschlichen Gehirn im Alter von 14 Jahren bereits ein Hauptteil der Histone Histonvarianten sind. Im aktuellen Projekt konnten die Forscher nachweisen, dass bei der Fruchtfliege im Alter von 40 Tagen ca. 40 Prozent der Histone ausgetauscht sind.

In ihren Untersuchungen mit Drosophila haben die Wissenschaftler nun festgestellt, dass der Anteil der Histonvariante H3.3 im Gehirn stark reduziert ist, wenn CHD1 fehlt. Die Transkription im Gehirn gerät außer Kontrolle. „Ein Großteil der Gene wird hochreguliert, es werden mehr Gene transkribiert als normal. Durch das fehlende H3.3 wird Chromatin nicht mehr so dicht gewickelt und Genorte, die nicht transkribiert werden sollten, werden transkribiert“, unterstreicht Lusser.

Ähnliche Auswirkungen beim Menschen
„Bereits abgelesene Gene werden stärker abgelesen. Darunter sind viele Neuropeptide, die Hunger und Sättigung regulieren sowie antimikrobielle Peptide, die einen Teil des Immunsystems ausmachen. Das hat zur Folge, dass sich die Fliege in einem konstanten Entzündungszustand befindet“, ergänzt Lusser den Vorgang. Interessant dabei ist nun, dass bei Wiedereinführung von CHD1 ins Gehirn alle Defekte behoben werden und die Fliegen haben eine ganz normale Lebenszeit.

Das Protein wird in allen Zellen gebildet. Es kann überall fehlen, nur nicht im Gehirn. Dann geht es der Fliege gut. Für die Wissenschafterin ist es durchaus vorstellbar, dass sich ein CHD1-Mangel beim Menschen ähnlich auswirken könnte. Sie gibt aber zu bedenken: „Da es beim Menschen sieben CHD1-Untertypen gibt, deren Rollen und Zusammenwirken schwer einzugrenzen sind, ist der Prozess viel komplexer.“

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red/mich/cc, Economy Ausgabe Webartikel, 14.10.2021