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28. März 2024

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Die neue Produktion von menschlichem Gewebe

Die neue Produktion von menschlichem Gewebe© TU Wien

Bisher gab es zwei Ansätze für die künstliche Herstellung von Gewebe zur Heilung von Verletzungen mit körpereigenen Zellen. TU Wien entwickelt nun neuen Ansatz mittels verbindenden Mikrogerüsten.

(red/mich/cc) Es ist ein lang gehegter Wunschtraum in der Human-Medizin: die Herstellung von künstlichem menschlichen Gewebe in beliebiger Form aus Stammzellen - um Verletzungen mit körpereigenen Zellen zu heilen oder künftig vielleicht sogar künstliche Organe herstellen. Die große Herausforderung besteht jedoch darin, Zellen auf die gewünschte Weise in die gewünschte Form zu bringen.

Die bisherigen Methoden lassen sich in zwei grundverschiedene Kategorien einteilen: Entweder werden zunächst kleine Gewebebausteine erzeugt, etwa runde Zellagglomerate oder flache Zellblätter, und sodann zusammengefügt - oder man baut anfangs ein feines, poröses Gerüst (Anm. auch „Scaffold“ genannt), dass man dann mit Zellen kultiviert. Beide Ansätze haben Experten zufolge Vor- und Nachteile.

Laserbasierte 3D-Druck-Technik
Die TU Wien hat aktuell nun einen dritten Weg entwickelt: Mit einer speziellen, laserbasierten 3D-Druck-Technik können Mikro-Gerüste mit einem Durchmesser von weniger als ein Drittel Millimeter hergestellt werden und die können dann sehr schnell tausende von Zellen aufnehmen. So existiert von Beginn weg eine hohe Zelldichte und trotzdem besteht die Möglichkeit, die Form und die mechanischen Eigenschaften der Struktur flexibel anzupassen.

„Die bisherigen Scaffold-basierten Ansätze haben große Vorteile: Wenn man zunächst ein poröses Gerüst herstellt, kann man seine mechanischen Eigenschaften genau festlegen“, erklärt Olivier Guillaume vom Institut für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnologie an der TU Wien (Team Aleksandr Ovsianikov). „Das Gerüst kann je nach Bedarf weich oder hart sein, es besteht aus bioverträglichen Materialien, die im Körper wieder abgebaut werden. Für die Gewebebildung können sie sogar gezielt mit Biomolekülen versehen werden“, so Guillaume.

Die Besiedelung mit Zellen
Der Nachteil ist die Schwierigkeit ein solches Gerüst mit Zellen schnell und vollständig zu besiedeln. Das erfordert heute noch viel händische Arbeit, auch wenn bereits an automatisierten Prozessen geforscht wird. Vor allem bei großen Gerüsten dauert es lange, bis die Zellen ins Innere der Struktur hineingewandert sind, oft bleibt die Zelldichte sehr gering und die Verteilung ungleichmäßig. 

Eine andere Variante wäre auf ein solches Gerüst zu verzichten und kleinere Zellagglomerate zu züchten, die dann in der gewünschten Form aneinanderfügt werden, sodass sie schließlich miteinander verwachsen. Bei dieser Technik ist die Zelldichte von Anfang an hoch, es gibt aber kaum Möglichkeiten, steuernd in den Prozess einzugreifen. Entsprechend könnten die Zellkügelchen ihre Größe oder Form ändern und das Gewebe am Ende hat dann andere Eigenschaften als gewünscht.

Filigrane und hochporöse Mikro-Gerüste
„Wir konnten nun die Vorteile beider Ansätze miteinander erbinden – und zwar mit einer extrem hochauflösenden 3D-Druck-Methode, an der wir hier an der TU Wien schon seit Jahren forschen“, sagt Aleksandr Ovsianikov. Bei dieser Technik (Anm. Zwei-Photonen-Polymerisation), wird lichtempfindliches Material verwendet, das mittels Laserstrahl punktgenau ausgehärtet werden kann und das ermöglicht Strukturen mit einer Genauigkeit im Bereich von weniger als einem Mikrometer.

Mit dieser Laser-Methode werden nun filigrane, hochporöse Mikro-Gerüste erzeugt und das ermöglicht wiederum eine schnelle Erzeugung von Zellagglomeraten im Inneren. Gleichzeitig werden die Zellen vor äußerer mechanischer Beschädigung geschützt, ähnlich wie der Rallyefahrer durch einen Überrollkäfig des Rennwagens geschützt wird. „Die Zusammenfügung von vielen dieser Einheiten ermöglicht in kurzer Zeit große Gewebekonstrukte mit einer hohen Zelldichte und guten mechanischen Eigenschaften“, erklärt Oliver Kopinski-Grünwald, ebenso vom Institut für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnologie der TU Wien.

Knorpel und Knochen als erste Zielgewebe
Das zugrunde liegende Konzept dieser neuartigen Tissue-Engineering-Strategie wurde bereits 2018 ausführlich präsentiert. Nun gelang es erstmals zu zeigen, dass diese Methode tatsächlich funktioniert. „Wir konnten nun die erhofften Vorteile dieser Methode belegen. Wir haben für unsere Experimente Stammzellen verwendet, die nach Belieben dazu gebracht werden können, entweder Knorpel- oder Knochengewebe zu produzieren“, erläutert Aleksandr Ovsianikov.

„Wir konnten zeigen, dass die Zellen aus benachbarten Gerüst-Einheiten miteinander verwachsen und tatsächlich ein gemeinsames Gewebe bilden. Dabei behält die Struktur ihre Form bei. In Zukunft könnten diese Mikro-Gerüst-basierte Gewebe-Einheiten sogar injizierbar gemacht werden, um sie in der minimalinvasiven Chirurgie einzusetzen“, unterstreicht Ovsianikov von der TU Wien. Die Forschungsarbeit wurde im Rahmen des ERC-Forschungsprojekt THIRST durchgeführt.

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red/mich/cc, Economy Ausgabe Webartikel, 15.04.2022