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19. April 2024

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Tödliche Geschäfte auf See

Tödliche Geschäfte auf Seepiqs.de/iwona

Moderne maritime Piraterie kostet nicht nur einige Menschenleben, sondern recht stattliche Beträge durch unmittelbare Schäden, Lösegeldforderungen, Verluste von Schiffen sowie erforderliche Präventionsmaßnahmen. Trotz hoher aktueller Brisanz wird das Thema jedoch in der breiten Öffentlichkeit ziemlich totgeschwiegen.

Errol Flynn, Johnny Depp oder die Teufelspiraten von Kau-Lun im Kino, Korsarenschlachten auf dem PC und Freibeuterromantik in der leichten Belletristik – Piraten taugen 2006 allenfalls für die kurzlebige Unterhaltungsbranche. Richtig? Falsch!
Wenn in Diskussionen über die globale Wirtschaft das Synonym „Piraterie“ in die Konversation einfließt, dann fallen wohl über 90 Prozent der Gesprächspartner lediglich weit verbreitete Assoziationen wie DVD-Raubkopien, illegale Musiktauschbörsen oder professionelle Fälschungen von Markenartikeln ein. Sträflich vernachlässigt, wenn nicht sogar tabuisiert, wird hingegen die ursprünglichste Variante des Synonyms, dessen wirtschaftliche, politische und soziale Auswirkung ebenfalls einen lauten medialen Aufschrei verdienen würde.

Traditionelle maritime Piraterie, so der Fachbegriff des bedrohlichen Problems, das sich seit Jahren vehement jeder Lösung entzieht, existiert erneut in einer Größenordnung und Flächendeckung, die nicht nur verblüfft, sondern vielmehr Anlass zu echter Besorgnis gibt. Fast täglich wird auf unseren Weltmeeren eine Privatyacht, ein Container- oder Kreuzfahrtschiff oder sogar ein Öltanker von dramatischen Attacken durch Seeräuber betroffen. Maritime Piraterie umspannt tatsächlich den gesamten Globus.
Nach wie vor betroffen sind das Südchinesische Meer, die Straße von Malakka, der Indische Ozean, die Andamanen sowie Küstengebiete in Südamerika und der Karibik. Während die drakonischen Maßnahmen von Indonesiens Präsident Yudhoyono und die Nachwirkungen des Tsunamis auf Asiens Problemrouten etwas Linderung brachten, hat sich die Freibeuterei derzeit am stärksten an den Küsten von West- und Ostafrika sowie an den Verkehrsrouten zum Nahen Osten entwickelt.
Neu aufflammende Unruhen in Nigeria sowie der Hexenkessel Somalia, der übrigens das global agierende Londoner International Maritime Bureau Mitte 2005 dazu veranlasste, Frächtern und Kreuzfahrtschiffen eindringlich die Fahrt außerhalb einer 200-Seemeilen- Zone zu empfehlen, sind beste Beispiele, wie sehr Aktionen von Piraten auf internationalen Handel, Industrie und Tourismus Einfluss nehmen können. So wurden innerhalb der letzten vier Monate vor Somalia mindestens 38 schwer bewaffnete Überfälle und Kaperversuche gemeldet, wobei die wahre Zahl laut Insidern noch viel höher liegt.

Höchst beunruhigend sind auch aktuelle Meldungen der renommierten Lloyd’s List. Im laufenden Monat Jänner wurden auch in den von Handel und Tourismus viel frequentierten Gewässern von Kenia und Tansania bereits etliche Fälle von Piraterie verzeichnet. Dabei werden die Korsaren der Neuzeit zunehmend aggressiver.
Wie schnell neben Öltankern, Containerschiffen oder Privatyachten auch einfache Touristen von der Gefahr betroffen sein können, zeigt ein aktueller Zwischenfall: Ein Fünf-Stern- Kreuzfahrtschiff der US-Reederei Carnival Corp. wurde von mit Granatwerfern und Maschinenpistolen bewaffneten afrikanischen Piraten unter Feuer genommen und entkam nur knapp. „Reaktionsschnelligkeit und unser speziell geschultes Personal haben Schlimmeres verhindert“, ist Bruce Good, Sprecher der Carnival Seabourn Cruises, sicher. „Die Piraten hatten zumindest Raub oder Entführung im Sinn!“
Internationale Reedereien halten sich generell bezüglich ihrer Maßnahmen und Ausgaben gern bedeckt, aber der Sprecher eines US-Unternehmens, der nicht genannt werden will, kann sich in diesem Zusammenhang auch bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord von Luxuskreuzern auf Problemrouten durchaus vorstellen.

Veränderte Verhältnisse
Wie Freibeuter anno 2006 nur mehr dem Namensbegriff und zunehmend hoher Gewaltbereitschaft nach Ähnlichkeit mit ihren oft überaus romantisch dargestellten Vorfahren haben, so haben sich auch die Hintergründe des modernen Freibeutertums verändert und der Zeit angepasst. Staatlich zumindest gebilligte Piraterie, Korsarenakte als eine Form von lokalem oder überregionalem Terrorismus oder Freiheitskampf, Beschaffungskriminalität mittels Lösegeld-Erpressung oder Drogenkartelle, die sich vor allem Privatyachten als potenzielle Ziele ausgesucht haben, lösten traditionelle Habgier und militärisch- staatliche Motive ab.
Pottengal Mukandan, Direktor der IMB, sieht nur noch wenige Fälle von einfachen Raubzügen auf hoher See, sondern vielmehr eine Zunahme von sehr gut geplanten Überfällen, Geiselnahmen, Diebstahl von Schiffen oder Lösegeld-Erpressungen. „Die heutigen Piraten sind zunehmend gut ausgebildet und verfügen über Kenntnisse, Schiffe auch ohne Crew zu steuern. Gewaltakte gegenüber Crews steigen daher an“, erklärt Mukandan.
Unter der Hand wird von weltweit rund 50 Tötungsdelikten jährlich ausgegangen, wobei die Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind, „da ein überwiegender Teil von Vorfällen von Reedern oder Staaten nicht gemeldet wird und uns die Dunkelziffer unbekannt ist.“

Gewaltbereitschaft steigt
Während die gemeldeten Vorfälle sinken, steigen die Gewalttaten, ist auch Commodore Allan Du Toit von der Royal Australian Navy überzeugt. „Piraterie hat entgegen offiziellen Zahlen in einigen Teilen der Welt sehr zugenommen und kann sicherlich mit Terrorismus in Zusammenhang gebracht werden.“
Wirtschaftlich ist Piraterie auf alle Fälle ein nicht zu unterschätzendes Problem. Die Kosten, die durch Freibeuter entstehen, werden von Versicherungen hinter vorgehaltener Hand im hohen Millionenbereich beziffert, und auch die nötigen Präventionsmaßnahmen und diverse Folgekosten sind nicht gerade billig. Eric Ellen, CEO von IMB: „Ein bald verfügbares neues Programm zur Bekämpfung von Piraten kostet Geld, aber wir raten Schiffseignern unbedingt zu Investitionen, um sich besser zu schützen.“
Dass man massive Investitionen umgehen und den Steuerzahler ohne großes Aufsehen für die Sicherheit auf hoher See zur Kasse bitten kann, beweist eine Maßnahme der Reederei Deilmann, die das berühmte Kreuzfahrtschiff „MS Deutschland“ betreibt. Auf dem Roten Meer und dem Golf von Oman befindet sich der Luxusliner seit November 2005 unter dem Schutz der deutschen Marine. Beim nördlichen Nachbarn nimmt man das Problem der Seeräuberei erstmals richtig ernst.

Ausgewählter Artikel aus dem Jahr 2006

Mario Koeppl, Economy Ausgabe 02-02-2006, 27.02.2015