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25. April 2024

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Von jugendlichem Orientierungs(un)sinn

Von jugendlichem Orientierungs(un)sinnAPA/Techt

KZ-Überlebende werden in Ebensee angegriffen, neben den Gaskammern in Auschwitz fallen Bemerkungen wie „Die Juden gehören vergast“. Die jugendlichen Täter sind nur zwischen 14 und 17 Jahre alt.

Die Hemmschwelle ist bedenklich tief gefallen. Laut einer Studie des Sora-Instituts ist sich eine große Anzahl derjenigen Jungwähler, die bei der letzten Nationalratswahl Rechtsaußen-Parteien gewählt haben, vollkommen des Umstands bewusst, für eine rechtsextreme Partei gestimmt zu haben. Von diesbezüglich schlecht informierten Jungwählern kann also weniger die Rede sein. Laut der Studie sind rund 30 Prozent der 16- bis 19-jährigen FPÖ- und BZÖ-Wähler sogar davon überzeugt, die Juden seien an der Weltfinanzkrise schuld.
Zum Teil glauben viele, auf der Suche nach „festen Werten“ in der rechten Szene fündig zu werden. Dabei spielen auch Neugier und jugendlicher Nachahmungstrieb eine Rolle. Alexander Gaisch, der Leiter des Steirischen Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, merkt an, dass junge Szenemitglieder häufig der Skinhead- oder Hooligan-Szene zuzuordnen seien. Der ideologische Hintergrund sei hier nicht so zwingend gegeben wie in ihrem älteren Szene-Umfeld.
In Oberösterreich sieht das schon wieder anders aus. Hier gilt die aus dem Bund Freier Jugend hervorgegangene Junge Aktion als die am besten organisierte Bewegung der rechten Jugendszene. Vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) wird die Gruppierung als neonazistisch eingestuft. Interessanterweise ist hier nicht nur die Gesinnung recht unmissverständlich, sondern es gibt laut Robert Eiter, dem Sprecher des Oberösterreichischen Netzwerks gegen Rassismus und Rechtsextremismus, auch „Überschneidungen” mit dem Ring Freiheitlicher Jugend.
Zudem unterzieht sich die rechte Szene auch einem Imagewechsel. Neue Gruppierungen wenden sich vom klassischen Erscheinungsbild ab. Bisher typische Merkmale wie Bomberjacken, Springerstiefel und geschorene Glatzen machen Kapuzenpullis, Palästinenserschals und langen Haaren Platz. Sogar linke Szene-Codes wie zum Beispiel Hausbesetzungen werden kopiert. Obgleich sie äußerlich fast nicht von Mitgliedern der linken Szene unterscheidbar sind, so handelt es sich bei dieser in Deutschland entstandenen Bewegung der Autonomen Nationalisten um äußerst gewaltbereite Rechtsextremisten. Zwar ist diese Gruppierung in Österreich noch nicht gleich stark vertreten wie in Deutschland, es gibt in der Szene jedoch dieselbe Tendenz bezüglich Kleidung und Musik, weiß Andreas Preham, Rechts­ex­tremismusexperte des DÖW.

Links und rechts vermischt
In der österreichischen Politik bedient man sich ähnlicher Verwirrspiele. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache verteilt T-Shirts, die ihn im Stil der linken Ikone Che Guevara zeigen, mit der Aufschrift „StraCHE“. Des Weiteren verkündet er seine Bewunderung für das linke venezolanische Staatsoberhaupt Hugo Chávez – auch wenn er dessen Namen in ORF-Interviews jedes Mal anders, aber konsequent falsch ausspricht. Die Nationale Volkspartei, der wegen „zu schwerwiegender Verdachtsmomente und Anhaltspunkte im Hinblick auf das Verbotsgesetz“ die Kandidatur bei den Landtagswahlen in Oberösterreich verwehrt blieb, schlägt in dieselbe Kerbe. Auf die Frage, was für sie Faschismus sei, antwortete der damalige Spitzenkandidat in spe: „Das, was die linksgrünen Kommunisten heute betreiben.“
Verschwindet wirklich die Trennlinie zwischen links und rechts? Zum einen ja, da die Bewegung oberflächlich zusehends vom alten Image der Ewiggestrigen ablässt. Bisher trug man mit deren Kennzeichen auch immer eine gewisse Bürde, man wurde eben als Mitglied erkannt. Jetzt wird die Szenekultur nach außen hin „liberalisiert“, um sie für den Nachwuchs attraktiver zu machen. Und selbst in der Politik setzt man auf dieselbe Taktik – da müssen zur Not auch linke Ikonen und Antifaschisten als Ideengeber herhalten, um Jungwähler für sich zu gewinnen.
Der Imagewechsel ist jedoch keineswegs eine bahnbrechende Neuerung, sondern eher ein vergleichsmäßig alter Hut, mit dem gerade Jugendliche hinters Licht und in die Szene geführt werden sollen. „Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.“ Das erkannte schon der italienische Faschismusgegner Ignazio Silone (1900–1978) und traf damit den Nagel auf den Kopf.
Mit ein Grund für den regen Zulauf, dessen sich die rechte Szene derzeit erfreut, ist wohl einfache Physik: Auf eine Aktion folgt eine Reaktion. In diesem Falle folgt auf die Globalisierungsbewegung ein Erstarken regionaler und nationalistischer Strömungen. Die Angst, Selbstbestimmung und Identität an Brüssel zu verlieren, ist noch präsent. Deshalb lässt sich aus Anti-EU-Slogans auch so viel Potenzial schlagen. Die Weltwirtschaftskrise verstärkt zudem solche Ängste, und das Verlangen nach Sicherheit, klaren Strukturen und einfachen Antworten steigt.
Beide Faktoren wurden zu spät erkannt, und die Einleitung von Gegenmaßnahmen wurde verabsäumt. Wenn man jetzt aus dem Bildungsministerium von Ministerin Claudia Schmied (SPÖ) hört: „Speziell nach der Senkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre ist es wichtig, politische Bildung in Österreichs Schulen zu intensivieren und zu verbessern“, so zeigt dies, dass die hier wirkenden Mechanismen unterschätzt worden sind. Denn logisch wäre freilich die umgekehrte Reihenfolge – zuerst die Bildung und dann die Wahl.

Jugend ohne Halt
So oder so wird man in nächster Zeit aufgrund der Wirtschaftskrise mit einer Zunahme der rechten Kräfte im Land rechnen müssen, sofern keine potenten Gegenmittel gefunden und umgesetzt werden. Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit muss dabei sicher mit an erster Stelle stehen.
Auch spielen vor allem hinsichtlich jüngster Ausschreitungen noch andere Faktoren eine wichtige Rolle. Rudolf Gelbard, der das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt hat, gibt als potenziellen Grund an, „dass das Wissen über den Holocaust unvollkommen ist.“ Weiters sagt er bezüglich der Aufklärung nach dem Zweiten Weltkrieg: „Ich glaube, in den ersten Jahren war eine sehr scharfe anti-nazistische Stimmung – bis 1948. Durch die Wahlen war es klar, dass man versucht hat, auch diese Wählermassen zu lukrieren – nicht unverständlich, aber das hat die Aufklärung meiner Meinung nach auch sehr behindert.“
Hier besteht also noch enor­mer Nachholbedarf, und die Forderung nach intensiver politischer Bildung an Schulen ist schnellstmöglich umzusetzen. Eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, speziell mit Verbindungen zur Gegenwart, wäre sicherlich ebenfalls wertvoll. Die Politik muss sich dabei
ihres Einflusses auf die Jugend sowie die rechte Szene bewusst werden.

Emanuel Riedmann, Economy Ausgabe 75-08-2009, 21.08.2009