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23. April 2024

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Leben mit und in Echtzeit

Leben mit und in Echtzeit

Unter meiner Maus zucken eine Meldung über
Senator Ted Stevens und sein jüngst bestiegenes
Fettnäpfchen sowie ein Link, das mich zum as-
tronomischen Bild des Tages führen will, um die
Wette. Gerade war der Senator noch vorne, jetzt
ist er samt lockendem Sternenbild weg.
Informationshäppchen werden kürzer, sagt
Peter Baumgartner, Professor an der Donau-
Uni Krems. Strategien, die die Häppchen ihrer
Bearbeitung zuführen, fehlen dabei weitgehend.
Man trifft sich dann etwa mit Leuten, versucht,
eine Geschichte ins Gespräch zu fädeln, von der
man nur den Vorspann kennt, um herauszufi
nden, dass es zwei
andere ebenfalls nicht zum Fließtext schafften. Und während die
Nachrichten auf der Social Bookmarking-Seite um meinen Maus-
zeiger rittern, weil sie in Echtzeit ins Internet müssen, wartet
eine dreistellige Anzahl E-Mails ebenfalls auf ihr Schicksal.
Auch wenn man erschlagen von News, Gerüchten und echten Tra-
gödien oft gar nichts mehr denken kann und der Senator Ende der
Woche bereits vergessen ist, treibt doch etwas die Neugier an.
Etwa die Möglichkeit, in den Kopf tausender Leute zu schauen,
die ihn bis dato geschlossen hatten und sich nun im Rahmen von
Social Software mitteilen. Oder eine Million User, die täglich auf
einer einzigen Website Nachrichten lesen, die sie und andere auf-
gestöbert und bewertet haben.
Manchmal, wenn einen Echtzeit nicht gerade ärgerlich macht,
macht sie richtig schön bescheiden. Einen lückenlosen Strategie-
plan zur Lösung der Echtzeitproblematik hat auch Uni-Professor
Baumgartner nicht zur Hand. Vor einiger Zeit, da hätte ihm eine
Frau, die er kennen lernte, ebenfalls die Frage nach dem Umgang
mit der Informationsfülle gestellt. „Wir haben das Problem zwar
nicht gelöst“, erzählt er und schmunzelt, „aber dafür geheiratet.“ - Ausgewählte Berichte und Kommentare aus den Schwerpunkt-Ausgaben bereits erschienener economy Printausgaben.

Economy Ausgabe 999999, 23.08.2013