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24. April 2024

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Interpretation der Welt auf Bestellung

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Denkfabriken oder Thinktanks sind jene Labore, wo öffentliche Meinung zusammengebraut wird. In ihrer Organisation ähneln sie manchmal einer fast geheimbundartigen Elitenversammlung.

Die Rand Corporation ist einer der größten und wichtigsten Thinktanks der Welt. Das „Institut“ ist eine private Organisation, die sich durch staatliche Zuschüsse, private Spenden und Erträge aus Auftragsgutachten finanziert. So auch die offizielle Einstufung als Non-Profit-Organisation, als akademische Einrichtung für Denker, Soziologen, Politikberater und Strategen.
1948 gegründet, war Rand (Research and Development) eigentlich eine Beratungsorganisation für das amerikanische Militär. Zahlreiche Wissenschaftler ersten Ranges, die während des Zweiten Weltkrieges in die USA kamen, wurden in die Organisation eingebunden und konnten dort Forschungsaufgaben nachgehen, die von der jeweiligen Regierung der USA vorgegeben wurden. Meistens hatten diese mit Militär zu tun, auch wenn sich Rand daneben mit gesellschaftlichen Themen auseinandersetzte.
Es besteht aber kein Zweifel, dass die Hauptaufgabe der Organisation nach wie vor in der Militärberatung besteht. So hat Rand, nicht zuletzt durch so prominente Mitglieder wie die Ex-US-Minister Donald Rumsfeld oder Condoleezza Rice, etwa die Strategie der beiden Golfkriege ausgeknobelt; nicht umsonst unterhält Rand eine Zweigstelle in Doha, der Hauptstadt von Qatar, wo sich der größte Truppenstützpunkt der USA im Na­hen Osten befindet.

Illustre Persönlichkeiten
Im Aufsichtsrat von Rand, der mit jedem Regierungswechsel in den USA mehr oder weniger rotiert, sitzen illustre Persönlichkeiten, und die Besetzungen zeugen hier und dort, mit kritischen Augen betrachtet, durchaus von Interessenkonflikten. Vorsitzender des Aufsichtsrates ist etwa Paul Kaminski, früherer Beschaffungschef des US-Militärs und zweckdienlicherweise auch gleich Aufsichtsrat von General Dynamics, einem der größten US-Rüstungskonzerne. Oder etwa die Ex-Vizechefin von Dow Jones, Karen Elliott House, der frühere US-Navy-General Richard Danzig, der pensionierte US-Airforce-General John Handy, Michael Lynton, CEO von Sony Entertainment, Michael Powell, Berater von Providence Capital, und andere Top-Leute aus Militär, Finanz- und Medienindustrie, zudem Harold Brown, früherer US-Verteidigungsminister, und Frank Carlucci, Ehrenaufsichtsrat der nicht minder mysteriösen Carlyle Group. Wenn man bisher nicht wusste, was man als militärisch-industriellen Komplex bezeichnen soll, hat man mit Rand Corporation ein gutes Beispiel.
„Kein Präsident würde es wagen, sich der beratenden Umarmung durch Rand zu entziehen“, urteilt Hermann Ploppa von der AG Friedensforschung an der Universität Kassel. „In aller Stille hat sich in den USA ein Wissenskonglomerat herangebildet, das zu einem Staat im Staate zu werden sich anschickt.“ Die Rand Corporation ist mittlerweile neben den USA und dem Nahen Osten auch in Europa präsent. Dort erhält sie etwa Unterstützung durch Auftragsgutachten von großen Firmen wie Daimler, Siemens oder Airbus und, weniger bekannt, von Verteidigungsministerien. „Die Kerngeschäfte von Rand liegen eindeutig in den Bereichen Militär und innere Sicherheit“, sagt Ploppa. So zählte es zur Kernaufgabe der Organisation, während der kriegswilden Jahre der Bush-Regierung dem Kongress stets neue Bedrohungsanalysen zu liefern, warum das Verteidigungsministerium und der Heimatschutz mehr Geld brauchen, wobei das Konzept „Homeland Security“ ebenfalls von Rand-Denkern stammt.
Rand ist ein exzellentes Beispiel, wie Thinktanks funktionieren. Und genau so muss man das Motto der Institution („Objective Analysis, Effective Solutions“) sehen. Ein Verfahren, das im deutschen politischen Sprachgebrauch etwas euphemistisch als „Herstellung von Entscheidungssicherheit“ bezeichnet wird.

Konversion von Geld

Schon der Name „Denkfabrik“ beziehungsweise das englische Wort „Tank“ (im Sinne von „Behältnis“) verdeutlicht, dass das Ergebnis des Denkens und Forschens einen Kapitalfluss nötig macht. Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann schreibt: „Man finanziert nicht Wahrheiten, sondern Organisationen, die sich um die Feststellung und Erforschung von Wahrheiten beziehungsweise Unwahrheiten mehr oder minder erfolgreich bemühen.“ Also, schließt Luhmann, findet in einem Thinktank, systemisch betrachtet, eine Konversion von Geld in Macht statt.
Rund 6000 Thinktanks oder vergleichbare Einrichtungen gibt es rund um den Globus. Von Rand über den harmloseren Club of Rome, vom liberalen Cato Institute in San Francisco über das Stanford Research Institute bis hin zur erzkonservativen Heritage Foundation. In Europa ist es zum Beispiel die einflussreiche Bertelsmann-Stiftung, die eine ähnliche Lobby-Politik in politischen und industriellen Kreisen verfolgt wie die US-amerikanischen Thinktanks. Oder etwa in Brüssel das European Policy Center, das Center for European Studies, das European Ideas Network sowie das European Network of Political Foundations oder das Londoner Institute of Economic Affairs. Der Kreis schließt sich dann auf nationaler Ebene etwa mit den Parteiakademien, in Österreich mit den Wirtschaftsforschungsinstituten, dem Hayek Institut Wien, der Forschungsstelle für institutionellen Wandel und europäische Integration, dem Österreichischen Institut für europäische Sicherheitspolitik sowie dem Österreichischen Institut für internationale Politik und dem Zentrum für angewandte Politikforschung.
Eine einflussreiche Denkfabrik in Österreich ist die Politische Akademie der ÖVP, kurz Polak genannt, die unter Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel zur Hochform auflief. Das SP-Gegenstück ist das Karl Renner-Institut. Die Institute erhalten einen guten Teil ihres Budgets aus der Publizistikförderung der Republik, womit sie quasi öffentlich finanziert werden.
Das Grundproblem der Thinktanks ist und bleibt aber ihre Abhängigkeit von der Macht. Denn Politik und Wirtschaft lassen sich ihre Entscheidungen nur äußerst ungern „von außen“ legitimieren.

Economy Ausgabe 76-09-2009, 25.09.2009