Unabhängiges Magazin für Wirtschaft und Bildung

25. April 2024

Search form

Search form

Gib mir deine Kohle!

Gib mir deine Kohle!

Wo sind sie, die Zeiten, in denen ein Mensch
mit adäquaten Mitteln auf der hohen Kante
von den Banken seines Vertrauens nonchalant übersehen wurde, während man
Kreditnehmern und Kontenüberziehern
einen roten Teppich bis vor den Schalter
legte? Von „Anna, den Kredit hamma!“ bis
zum dezenten Hinweis, man möge doch den
großzügigen Kontenrahmen ausschöpfen
und die arme Zweigstelle auch mal was
verdienen lassen, reichte das Spektrum
der allgemeinen Verführung der Massen,
während der Schalterbeamte bei Einzahlungen indigniert die
Braue hob. Heute, in Zeiten, in denen Banken mit ihren
Fonds, Aktientipps und gierigen Einsätzen auf fremden
Kapitalmärkten dem Glücksspiel frönen und mit ihren wilden,
oft amateurhaften Spekulationen den Gang ins Spielkasino
und jede Stoßpartie im Hinterzimmer eines Rotlichtlokals als
weitaus sicherere Anlage für Geldvermehrung erscheinen
lassen, hat sich die Stimmung radikal verändert. Angesichts
von Subprime-Krise und Basel II-Zwängen sowie unfähigen
Angestellten, die Millionen per Mausklick in den Sand setzen,
ist der Wohlhabende wieder König. Von irgendwoher muss
das Spielgeld für den nächsten Einsatz ja kommen. „Sie
kommen was abheben?“, fragte denn auch der Schalter-
beamte mit fiebrig glänzenden Spieleraugen. „Muss ich jetzt
wirklich auf Ihr Konto in Vaduz und auf meine Notlage, die
mich zur Finanz treiben könnte, verweisen?“ Betretenes
Schweigen meinerseits. „Brav. Und jetzt her mit der Kohle,
Junge! Der Kollege drüben am PC hat gerade einen tod-
sicheren Tipp laufen. Wenn wir gewinnen, können Sie was
abheben.“ Ich schob meine letzten Scheine rüber und verließ
hastig das Kontor. Morgen gehe ich am Gürtel pokern. - Ausgewählte Berichte und Kommentare aus den Schwerpunkt-Ausgaben bereits erschienener economy Printausgaben.

Economy Ausgabe 999999, 29.03.2013