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29. März 2024

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Die Werte des ewigen Geburtstagskindes

Die Werte des ewigen GeburtstagskindesPPÖ

Auch Karl Merkatz und Queen Elizabeth II waren Mitglieder: über Entstehung, Jubiläen und Klischees der Pfadfinder.

„Nach der Jubiläumsfeier ist vor der Jubiläumsfeier“, könnte derzeit das Motto lauten. Zuerst war 2007 das 100-jährige Jubiläum der Geburtsstunde. Da in der Folge des Gründungsjahres 1907 jährlich Neugründungen von Verbänden der schnell wachsenden Bewegung anstanden, genießen Pfadfinder derzeit den seltenen Luxus, praktisch jedes Jahr hundertsten Geburtstag feiern zu können.
So gibt es auch heuer Anlass zum Feiern. Bei einem Pfadfinderlager 1909, welches, wie anfänglich alles, nur für Jungen war, tanzte eine Gruppe Mädchen an und verlangte Einlass. Für eine Zeit, in der Mädchen noch knöchellange Röcke trugen und Laufen als unanständig galt, ein ziemlich starkes Stück – und die Geburtsstunde der Pfadfinderinnen. Im Jahr darauf entstand die erste offizielle Pfadfinderinnengruppe, wodurch – Sie ahnen es schon – weitere Jubiläumsfeiern in den Jahren 2010 bis 2012 anstehen. Das ergäbe dann schon fünf Jahre hundertster Geburtstag. Grund für ein Jubiläum?
Wie viele Klischees können eigentlich auf eine Organisation zutreffen, die fast 40 Mio. Mitglieder zählt und weltweit nur in sechs Ländern nicht vertreten ist? Selbst nach gut 100 Jahren ist über die größte Jugendorganisation der Welt neben Klischees verhältnismäßig wenig Wissen Allgemeingut. Anders ausgedrückt: Was wird hier eigentlich gefeiert?
„Die Pfadfinderbewegung stand und steht für Frieden, Gemeinschaft und Respekt vor Menschen anderer Religionen und Kulturen“, schreibt Philipp Pertl, Pressesprecher der PPÖ (Bundesorganisation der Pfadfinder und Pfadfinderinnen Österreichs). Die Jugendarbeit bei den Pfadfindern setzt darauf, Fähigkeiten der Jugendlichen zu stärken, Individualität und Toleranz zu fördern. Der bedachte Umgang mit der Natur ist ebenfalls sehr zentral. Professor Klaus Hurrelmann, Leiter der Shell-Jugendstudie 2006, beschreibt das Ergebnis der pfadfinderischen Jugendarbeit als sozial, kompetent, verantwortungs- und selbstbewusst.

Kuriose Entstehung
Die Entstehungsgeschichte der Pfadfinder ist tatsächlich etwas kurios. Durch das Lehrbuch des Gründers und englischen Kriegshelden Robert Baden-Powell ins Rollen gebracht, begann die Bewegung fast als eine Art Vorstufe zum Militär. Die militärische Struktur der Gruppen, deren Aufteilung in kleine „Patrouillen“ mit je einem Anführer, ist bezeichnend und bietet heute noch Stoff für Vorurteile.
Baden-Powell fügte dieser Struktur jedoch Gedanken hinzu, die in eine andere Richtung weisen. Seine Philosophie machte die Pfadfinder zu weit mehr als nur paramilitärischem Getue. „Erlebnisorientierte Jugendarbeit“ würde man sein Ziel heute nennen. Vor allem die Selbstständigkeit, Verantwortung und Solidarität der Jugendlichen wollte er fördern, und er regte die Jugend zu Abenteuern an. Das pädagogische Konzept „Learning by Doing“ etwa geht auf ihn zurück.
Schließlich entwickelte sich die Bewegung von ihren paramilitärischen Anfängen weg zu einer Art Friedensbewegung. „Versuche, die Welt ein bisschen besser zu verlassen, als du sie vorgefunden hast“ und „Jeden Tag eine gute Tat“ sind die bekanntesten Pfadfinder-Leitsprüche. Ja, es sind Klischees. Aber in einer Zeit, in der Geiz „geil“ ist, doch auch keine schlechte Alternative.

Emanuel Riedmann, Economy Ausgabe 77-09-2009, 23.10.2009