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25. April 2024

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Vertrauensbildung für Fortgeschrittene

Vertrauensbildung für FortgeschritteneEPA

Über transparente Geschäftsführung wollen Politiker das Vertrauen der Bürger in sie zurückholen. Dazu zählt auch eine neue Großzügigkeit bei der Veröffentlichung statistischer Daten.

2009 stand als Jahr der Veränderung auf dem Plan. Allen voran sollten sich unter der neuen Regierung Bürger dem Staat wieder näher fühlen. Die Veränderung, die Senator Obama in seinen „Change“-Slogans versprach, holt den Präsidenten Obama inzwischen ein. Unter Zugzwang, seine Versprechen einzuhalten, steht der Vertrauensvorschuss, den ihm die Amerikaner entgegenbrachten, auf dem Spiel.
„In den USA sind Präsident und Senat das Gesicht der Regierung“, erläutert Kurt Dirks, Professor für Organisationstheorie an der Olin Business School der Washington University in St. Louis. Bürger setzen damit weitgehend das Vertrauen in den Staat mit dem Vertrauen in dessen politisches Oberhaupt gleich. Wenn Präsidenten kompetent und integer sind und eine gewisse Gutmütigkeit zeigen, steigt das Vertrauen typischerweise. Kommt es zu Skandalen, sind die Vertrauenseinbußen nur schwer wieder wettzumachen. Dirks nennt Großbritannien und dessen Skandalserien der jüngeren Vergangenheit als Beispiel. Wenn das vorkomme, sei die Wiedergutmachung eine Aufgabe für sich, so Dirks.

Misstrauen in Politik
Laut dem Harvard National Leadership Index, einer Studie, die vom Center for Public Leadership der Harvard Kennedy School regelmäßig erstellt wird, fiel das Vertrauen in staatsführende Politiker in den letzten Jahren dramatisch. Am Beispiel USA stellten die Autoren für 2008 – und damit vor der Präsidentschaftswahl – fest, dass 80 Prozent der Bevölkerung der Regierungsspitze ein Führungsproblem konstatieren. Auch wurden historische Vertrauensrückgänge gegenüber dem Bildungssystem und dem Obersten Bundesgericht verzeichnet.
Die Probleme vieler Staaten weltweit ähneln sich. Bürger erkennen immer weniger den Zusammenhang zwischen ihrer Stimme bei der Wahl und dem, was im öffentlich sichtbaren politischen Alltag passiert. Auf die­se Weise sinkt das Interesse in die Politik und gleichzeitig das Vertrauen in die Führung. Erschwerend kommt hinzu, dass in Zeiten weltwirtschaftlicher Schwierigkeiten ein weiterer vertrauensbildender Faktor fehlt: eine gut funktionierende Wirtschaft.

Gegen Intransparenz
Das Thema Transparenz nimmt die US-Regierung unter anderem mit Websites in Angriff, die Daten unterschiedlichster Herkunft an einer Stelle vereinen und somit eine gewisse Offenheit signalisieren. Die im Mai vorgestellte Site Data.gov etwa stellt für jedermann zugänglich ein Potpourri aus unterschiedlichsten Daten zur Verfügung, die nicht notwendigerweise neu, aber zum ersten Mal in einheitlichen Formaten zusammengefasst sind. Die Auswahl reicht von geologischen Erhebungen bis hin zu Giftmülldaten jedes US-Bundesstaats. Im Juni kam USAspending.gov hinzu, eine Site, die im Rahmen eines Transparenzgesetzes im Jahr 2007 unter Präsident Bush geschaffen wurde und nun einen Relaunch erhielt. Hier lassen sich die Kosten eines gro­ßen Teils von IT-Projekten nachlesen, die vom Staat in Auftrag gegeben wurden. Mit Spannung erwartet wird ein weiteres Informationsportal namens Recovery.gov, auf dem die Ausgaben im Rahmen des Stimuluspakets verfolgt werden können.
Der Trend, Daten sowohl im Unternehmens- wie auch öffentlichen Bereich zugänglich zu machen, hat für Dirks zwei Gründe: Weil politische Skandale zu Misstrauen in der Bevölkerung führen, sind Regierungen interessiert, entweder präventiv oder zur Schadensbegrenzung Offenheit zu demonstrieren. Zum anderen lasse sich die Veröffentlichung von Daten leicht erledigen: „Das Web ist eine hervorragende und kostengünstige Möglichkeit, das umzusetzen“, erklärt Dirks.
Ob die Benutzer mit den Daten auch wirklich etwas anfangen können, steht nach Meinung von Experten auf einem anderen Blatt. „Die meisten Leute schaffen es nicht, Daten ohne Vorurteile zu analysieren“, sagt Dirks. Denn zumeist würden aus den Daten Trends herausgelesen, die sich mit den eigenen Erwartungen decken. Eine objektive Analyse wird damit schwierig.

Daten ohne Deutung
Websites wie USAspending.gov beinhalten auch die Schwierigkeit, dass die Besitzer der Daten gleichzeitig ebenso jene sind, die entscheiden, was an die Öffentlichkeit soll und was nicht. Auf diese Weise entsteht eine Vorselektion, die zwar erklärbar ist, wenn es etwa um die Finanzierung militärischer Projekte geht. Dennoch darf vermutet werden, dass Daten, die als kontroversiell gelten, gar nicht erst den Weg ins Web finden.
Um das Beste aus den zur Verfügung gestellten Daten herauszuholen, bieten sich verschiedene Methoden der Visualisierung an. Grafisch hübsch aufbereitet, können Informationen einem weit größeren Publikum zugänglich gemacht werden. „Daten lassen sich am besten über Krieg und süße Kätzchen kommunizieren“, formuliert es Irene Ros, Leiterin des Forschungsprojekts Many Eyes bei IBM, humorvoll.
Die New York Times etwa ließ in den letzten Jahren mit aufwendigen interaktiven Visualisierungen aufhorchen, die das Zahlengerüst hinter den Storys eindrucksvoll ins Bild setzen. Die Grafiken sind überaus beliebt und besitzen auch einen hohen Wiedererkennungswert. Unklar ist allerdings, ob sich die Betrachter nur an das ansprechende Bild oder auch an die Message hinter den Visualisierungen erinnern.
Computerwissenschaftlerin Ros zeigte im Rahmen der OECD-Konferenz „Statistik in Wissen umwandeln“ die Bandbreite an Visualisierungsmöglichkeiten anhand der Website Many Eyes auf. Besucher können ihre eigenen Daten hochladen und die gewünschte Visualisierung auswählen. Das Ergebnis wird schließlich für alle sichtbar auf die Website gestellt. „Ich bin immer wieder überrascht, wie viel Zeit Leute in das Sammeln von Daten stecken“, sagt Ros. Am Ende eine ansprechende Visualisierung herauszubekommen, sei für viele der Benutzer mit einem kreativen Prozess vergleichbar.
Doch bereits die Auswahl der Visualisierungsmethode be­inhaltet ein gewisses Maß an Interpretation. Hinzu kommt, dass die Wissenschaft noch relativ jung ist. Über psychologische Aspekte, warum Betrachter wie auf Visualisierungen reagieren, ist nicht allzu viel bekannt. Dass Sites wie USAspending.gov nur die rohen Daten zur Verfügung stellen und die Visualisierung anderen überlassen, wird von Experten allerdings positiv gesehen: So wird die Interpretationshoheit im Sinne von Transparenz aus der eigenen Hand gegeben.

Economy Ausgabe 75-08-2009, 21.08.2009